Eva-Marina Froitzheim

Kunstgeschichtliche Aspekte im Radierwerk von Paul Kälberer



Paul Kälberer teilte bis Mitte der 80er Jahre das Schicksal vieler um 1900 geborener Künstler und Künstlerinnen im südwestdeutschen Raum. Sie hatten zwischen den Weltkriegen ihre Ausbildung erhalten. Innerhalb eines engen Zeitkorridors von wenigen Jahren, etwa von der Mitte der 20er Jahre bis 1933 schufen sie ihre Hauptwerke, um dann mehr oder weniger jäh durch die nationalsozialistische Machtergreifung unterbrochen zu werden. Nach 1945 sahen sie sich angesichts des unerwarteten Siegeszuges der abstrakten Kunst um ihre Hoffnung betrogen, dass sich ihre figurative Kunst endlich durchsetzen würde.

Es sollte über vierzig Jahre dauern, bis diese Künstler, die einst das Geschehen in der Landeshauptstadt bestimmt hatten, wieder entdeckt wurden. Unter dem Schlagwort "Stuttgarter Sezession" versammelten zwei epochale und wissenschaftlich fundierte Ausstellungen in Böblingen und Dätzingen die Künstler, die sich seit 1923 in der gleichnamigen Künstlervereinigung zusammengefunden und bis 1933 in nahezu jährlichen Turnus und wechselnder Zusammensetzung ihr Schaffen dem Publikum präsentiert hatten. (1) Ein reiches malerisches Erbe war durch diese Ausstellungen dem Publikum zurück gewonnen. Auch wenn Kälberer sich erst spät zu diesem Kreis gesellte - er stellte 1928 und 1929 dort aus - und seine Malerei aus dem Rahmen der überwiegend expressiv malenden Kollegen heraus fällt, zählt er dennoch in den Umkreis dieser Gruppierung.

Die beiden Ausstellungen zur Stuttgarter Sezession wurden zu einer Initialzündung für die Beschäftigung mit einzelnen Protagonisten und hat möglicherweise auch die Beschäftigung mit Kälberer befördert.

Die erste Publikation 1989 nahm "Paul Kälberer als Grafiker" in den Focus (2) Ihr folgte 1992 eine umfassende Beschäftigung mit dem Maler Paul Kälberer. (3) In einer Gegenüberstellung mit den Künstlerkollegen Jakob Bräckle (1897 - 1987) und Reinhold Nägele (1884 - 1972) wurde hier Versuch unternommen, Kälberers Malerei auf ihre Nähe zur Neuen Sachlichkeit hin zu untersuchen.

Nicht nur die Rezeption nach 1945, auch die vorauf gegangenen Voraussetzungen der Generation der um 1900 Geborenen auf der Suche nach einem eigenen Stil waren schwierig. Ihre künstlerische Entwicklung war wesentlich von einem doppelten Impuls geprägt, zum einen von der persönlichen Konsolidierung nach den erschütternden Ereignissen des 1. Weltkrieges, den viele von ihnen mitgemacht hatten, wie von der künstlerischen Positionierung in einer Zeit, die seit 1900 eine dichte Abfolge umstürzlerischer Stile bis hin zum Futurismus und Dada erlebt hatte. Diesen avantgardistischen Richtungen stand auf der anderen Seite eine Auseinandersetzung mit dem malerischen Erbe, das wiederum durch den französischen Impressionismus seine nachhaltigste Erschütterung erfahren hatte, gegenüber.

Auch Kälberer war in jungen Jahren, wie so vielen seiner Generation, nach der Ausbildung an der Stuttgarter Kunstakademie nicht sehr viel Zeit geblieben, die künstlerischen Flügel auszubreiten. Im Gegensatz zu seinen expressiv arbeitenden Kollegen zeigt sich bei Kälberer von Anfang an der Wille zur Zusammenfassung der Form. Seine Motive entstammen der ländlichen Lebenswelt, doch ist er kein Realist im eigentlichen Sinne, "vielmehr idealisierte er in seinem künstlerischen Schaffen die gegenständliche Welt" (4). Eines seiner Hauptwerke zeigt "Kühe an der Tränke" (1926). Die Tendenz Kälberers, seine Bilder, wie übrigens auch dieses Hauptwerk, auch noch nach Jahren zu übermalen, zeugt beredt von einer lebenslangen Suche nach der absoluten, harmonischen Form. (5)

Kälberer betritt 1925 scheinbar als fertiger Maler die öffentliche Bühne. Eine einschneidendes Datum innerhalb seiner künstlerischen Entwicklung ist seine Italienreise im Jahr 1924. (6) Die Begegnung mit der florentinischen Früh-Renaissance vermittelt ihm die Idee einer klassisch-harmonischen Kompositionsweise. Und sie prägt sein Bild der Frau, als eines würdigen, idealisierten und mariengleichen Wesens.

Es bleibt nach wie vor schwierig, Kälberers malerische Anfänge zu beurteilen, da mangels einer ausreichenden Anzahl von Frühwerken seine künstlerischen Schritte vor 1924 nur schwer zu fassen sind.

An diesem Punkt kommt den Radierungen Kälberers eine besondere Rolle zu, sind doch die frühesten Blätter 1920 zu datieren. Im gleichen Jahr nimmt Käberer sein Studium an der Stuttgarter Kunstakademie auf. In den Grafiken fassen wir demnach die tastenden Schritte Kälberers auf dem Weg zu einer eigenen Kunstsprache. Den ersten Versuchen liegt eine Auseinandersetzung mit kunstgeschichtlichen Vorbildern zugrunde, die allerdings, anders als in seinen Gemälden, aus der altdeutschen und niederländisch-flämischen Kunst kommen. Der vorliegende Aufsatz spürt dieser Auseinandersetzung nach und analysiert, was Kälberer von der Kunst der alten Meister rezipiert und wie er der das Vorgefundene in spezifisch Eigenes verwandelt.

Bei den ersten technischen Versuchen auf dem Gebiet der Grafik findet Kälberer wohl die Unterstützung seines Akademielehrers Alexander Eckener (1870-1944). (7) Eckener war seit 1908 Leiter der graphischen Klasse an der Stuttgarter Kunstakademie. (8) Wie dass Verhältnis zwischen Kälberer und Eckener sowohl in künstlerischer wie in menschlicher Hinsicht aussah, lässt sich nicht genau sagen, da die erhaltenen schriftlichen und bildnerischen Zeugnisse nicht für eine fundierte Beurteilung ausreichen. Immerhin müssen aber auch nach Kälberers Akademiezeit noch lose Kontakte zu Eckener bestanden haben. Denn Eckener ist später auch bei dem von Kälberer initiierten Künstlerverbund "Freunde schwäbischer Grafik" vertreten, auch wenn vermutet werden darf, dass die Beteiligung des älteren, einer anderen Generation angehörenden Kollegen eher aus Höflichkeit geschah. (9)

Eckeners Radierwerk soll hier anhand zweier, jüngst im Kunsthandel aufgetauchter Blätter ansatzweise betrachtet werden. (10) Zum einen handelt es sich um den undatierten "Blick in die Marsch" (Abb. 1) und das 1916 entstandene Blatt "Im Eisenwerk" (Abb. 2). Die Motive kommen aus jeweils einander entgegen gesetzten Lebensbereichen; hier eine ländliche Szene aus dem Flachland, dort eine romantisierende Darstellung eines industriellen Vorgangs. Im Mittelpunkt des zuletzt genannten Blattes steht ein riesenhafter, schwarzer Schmelztiegel vor weißem Dampf, neben dem die anwesenden Menschen wie Staffage erscheinen. In heroisierender Weise wird das Schmelzen von Metall als alchimistischer Vorgang inszeniert. Beide Blätter leben ganz entscheidend von einem pointierten Hell-Dunkel-Kontrast, der insbesondere "Im Eisenwerk" bis an seine Grenze ausgelotet wird.


Abb. 1 A. Eckener, Blick in die Marsch


Abb. 2 A. Eckener, Im Eisenwerk

Von den naturalistischen Blättern Eckeners dürften kaum Impulse auf den jungen Kälberer ausgegangen sein. Kälberer suchte augenscheinlich eigene Wege, um sich mit den Bedingungen des Mediums Grafik und seiner Ausdrucksbandbreite vertraut zu machen.

Kälberer und die niederländische Grafik

Eines der ersten fassbaren Blätter Kälberers, um 1920 entstanden, ist eine Kopie nach Adriaen van Ostades "Backgammonspieler" (WVR 10010) von ca. 1682 (11). Kälberer gibt das Blatt in nahezu identischer Größe wieder, studiert minutiös Anordnung und Details der Gegenstände. Warum das Augenmerk des jungen Akademiestudenten gerade auf Ostade fiel, bleibt im Dunkeln. Jedenfalls inspiriert ihn das Motiv aus der Lebenswelt der Bauern später zu weiteren Blättern dieses Themas, die vermutlich mit anderen zu einem Zyklus mit dem Titel "Bauernleben" zusammengefasst werden sollten. (12) Dazu gehört das "Bauerngelage" von 1931 (WVR 11050) und das 1932 entstandene Blatt "Der Liebeshain" (WVR 11200). Das Motiv von in einer Landschaft amourös miteinander beschäftigter Bauernpaare geht letztlich auf das von Pieter Brueghel d.Ä. begründete Genre der Bauernhochzeit zurück. (13) Es fand in der Nachfolge Brueghels sowohl bei flämischen als auch bei niederländischen Künstlern reiche Nachfolge. Käufer dieser teilweisen groben und vulgären Szenen war das reiche Stadtbürgertum, das sich über die Vergnügungen des ungebildeten Landvolks amüsierte.

Gegenüber der Vorlage von Ostade fällt bei Kälberer auf, dass die Schraffuren insbesondere in der Dachzone weniger einzeln Strich für Strich angelegt sind, als das bei Ostade der Fall ist. Stattdessen erscheint die Schraffur dichter und atmosphärischer. Im Gegensatz zu Ostade meint Kälberer nicht die Schattenzone, die durch ein überwölbendes Dach entsteht. Er schafft vielmehr - unabhängig von den topographischen Gegebenheiten - eine eigenständige, fast geheimnisvolle Dunkelzone mitten im Geschehen. Sie wird mit formalen Mitteln herausgearbeitet, die speziell der Radierung eigen sind. Für diese Art und Weise der Schraffur - sei sie nun mehr oder weniger deutlich angegeben - steht vor allem ein Künstler, nämlich Rembrandt, der Meister der Radierung, Pate. Rembrandts Kaltnadelradierungen brachten ein bis dato unbekanntes malerisches, ja fast magisches Element in dieses Medium, das als Ideal - letztlich bis zum heutigen Tag - für Künstler Ansporn und Herausforderung ist.

Kälberer setzte sich intensiv mit Rembrandt auseinander. Zwei Blätter, Kopien nach Rembrandt, bezeugen den überragenden Einfluss und die Faszination, die Rembrandts Radierungen auf Kälberer ausübten und an denen er sich schulte. Von Kälberer hat sich aus den frühen 20er Jahren die Kopie nach Rembrandts "Der Rattengiftverkäufer", auch bekannt als "Der Rattenfänger" erhalten (WVR 10020) (14). Wiederum handelt es sich um eine Genreszene. In der linken Blatthälfte sind die handelnden Personen konzentriert. Ein Rattengiftverkäufer, offenbar begleitet von einem assistierenden kleinwüchsigen Menschen, bietet an einer offenen Türe einem Bauern Rattengift an. Auch dieses Motiv setzt Kälberer direkt um. Er behält die Größe des Blattes bei. Im Gegensatz zu Rembrandt aber setzt Kälberer das Motiv frei in das Blatt, wobei seine zeichnerische Begabung in der Wiedergabe des Motivs auffällt. Interessant ist, dass er die dunklen Partien noch skizzenhafter und offener als sein Vorbild angelegt. Es ist, als wolle er dem Geheimnis des Rembrandtschen Dunkels nachspüren.

Die zweite Kopie nach Rembrandt ist das Blatt "Christus vertreibt die Händler aus dem Tempel". (WVR 10030) (15). In dieser Radierung beschäftigt sich Rembrandt mit dem Problem einer Massenszene. Eine große Menschengruppe wird durch Licht und Schatten rhythmisiert, trotz drangvoller räumlicher Enge hält Rembrandt die Struktur der Schraffur offen. Für Kälberer ergab sich an diesem Blatt die Möglichkeit, das Verhältnis von Schraffur und Figurbildung genau zu studieren. Er selbst nimmt partienweise Akzentsetzung vor: oben links und oben Mitte im Blatt sowie an der Lampe im linken Bildteil. Insgesamt mildert Kälberer den Schwarz-Weiß-Kontrast der Vorlage.

Rembrandts Radierwerk bildet einen lebenslangen Leitfaden für Kälberer. In seiner Bibliothek, die sich vollständig in Glatt erhalten hat, findet sich eine nicht unbedeutende Anzahl von Publikationen über Rembrandt, insbesondere über dessen Radierungen und Handzeichnungen. (16)

Über die bereits erwähnten Kopien finden sich weitere Blätter mit Reminiszenzen an Rembrandt. Als Beispiele sei das Porträt "Gesa Kälberer am Tisch lesend", 1927, erwähnt (WV 10430). Vor einem geöffneten Fenster sitzt eine lesende Frau. Das Motiv zitiert ein klassisches, bei Rembrandt vorgebildetes Motiv, das dieser auch in seinem berühmten Selbstbildnis von 1648 verwendet. (17) Obgleich Gesa, den Kopf in die Hand gestützt mit dem Rücken vor einer dunklen Wandfolie sitzt, zeichnet sich ihr Gesicht hell ab - ein dramaturgischer Schachzug, den Kälberer bei Rembrandt studieren konnte. Im "Eschachtal" von 1927 (WV 10440) begegnet uns ebenfalls Rembrandteskes: Die Wiedergabe des aufreißenden, gewittrigen Himmels ist offenkundig von Rembrandts berühmter Gewitterdarstellung "Die drei Bäume" von 1643 inspiriert. (18)

Seine Leidenschaft für Rembrandt versuchte Kälberer in späteren Jahren einer jüngeren Generation zu vermitteln. Es ist überliefert, dass er die Schüler der so genannten Bernsteinschule in seinem Atelier in Glatt Radiertechniken in der Art Rembrandts lehrte. Vermutlich hat er dabei jene Ausgabe der "Reichsdrucke nach Rembrandts Radierungen/Kunstblatt der Staatsdruckerei Berlin" benutzt, die sich in seiner Bibliothek erhalten haben. (19)

Kälberer und die Tradition der alten Meister

Kälberer knüpft sehr bewusst an die Alten Meister an. Die kunstgeschichtliche Tradition ist für ihn Richtschnur sowohl für sein malerisches als auch sein radiertes Werk. Er schult sich an altmeisterlichen Kompositionsprinzipien mit ihren bewährten Strategien der Flächenorganisation. Auf der Basis einer jahrhundertealten Tradition, als deren Erbe er sich versteht, entwickelt er neue, zeitgemäße Formvorstellungen.

Aber wie kommt ein junger Künstler dazu, sich auf der Suche nach einem eigenen Stil so direkt und unmissverständlich auf die Tradition der Väter zu beziehen, anstatt das Voraufgegangene als altmodisch und überkommen abzulehnen?

In der neueren Kunstgeschichte gilt die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg als Zeitalter der Avantgarde. Innerhalb weniger Jahre feierten Ismen über Ismen einen rauschenden und rasanten Sieg der Moderne zwischen den Polen eines logischen Konstruktivismus und ungehemmter Expressivität. Revolutionäre Künstlerzirkel propagierten die vollständige Entmachtung der alten Kunstheroen. Die Zertrümmerung des Gegenstandes in der Kunst ging einher mit der Freisetzung der Farbe von ihrer beschreibenden, an der Natur orientierten Bedeutung. Die Wurzeln der neuen künstlerischen Richtungen und Stile lag in den europäischen Großstädten. Diese wurden zu Schmelztiegeln, in denen die ungebremste Energie junger Künstler, die aus allen Teilen sich dort zusammenfanden, fortwährend neue Blüten treib. Die Großstadt war Quell von Inspiration, Humus für radikal Neues und zugleich bevorzugter Gegenstand der Kunst als turbulenter Kristallisationspunkt sozialer Gegensätze und neuer Lebensformen. Ludwig Meidner fasste das Lebensgefühl einer ganzen Künstlergeneration in seinem Aufruf "Anleitung zum Malen von Großstadtbildern" zusammen: "Wir müssen endlich anfangen, unsere Heimat zu malen, die Großstadt, die wir unendlich lieben. Auf unzähligen, freskengroßen Leinwänden sollten unsre bibbernden Hände all das Herrliche und Seltsame, das Monströse und Dramatische der Avenuen, Bahnhöfe, Fabriken und Türme hinkritzeln." (20)

Stuttgart gehörte zu jener Zeit nicht zu den brodelnden Großstädten. Als Kälberer an die Akademie kam, hatten jene reformatorischen, abstrakten Kräfte die Akademie verlassen, bzw. waren daraus verdrängt worden. Adolf Hölzel (1853 - 1934) ging 1919 in den Ruhestand. (21) Sein Abgang aus der Akademie erfolgte nicht ganz freiwillig, zu mächtig war den restaurativen Kräften im Kollegium seine Position bei den jungen Studenten geworden. 1920 verließ Oskar Schlemmer (1888 - 1943) die Akademie in Richtung Bauhaus nach Weimar, nachdem es nicht gelungen war, Paul Klee als Nachfolger für Hölzel an die Akademie zu holen. (22) Johannes Itten (1888 - 1967) war ihm ein Jahr zuvor nach Weimar vorausgegangen, um mit Walter Gropius die Gründungsphase des Bauhauses mitzugestalten.

Damit war den abstrakten Tendenzen im Stuttgarter Kunstleben die Spitze abgebrochen. Die angestammten Kräfte in der Akademie wuchsen in die entstandene Lücke wieder hinein. Zu ihnen gehörte Christian Landenberger (1862 - 1927). Er war seit 1904 Lehrer an der Akademie und vertrat einen gemäßigten Impressionismus. Landenberger, bei dem Kälberer studiert hatte, zeichnete sich durch große Toleranz gegenüber seinen Schülern aus. Sein Ziel lag in der Vermittlung handwerklicher und kompositorischer Grundlagen. Stilistisch hat er die wenigsten Schüler beeinflusst.

Einen Gegenpol zu Landenberger bildete Heinrich Altherr (1878 - 1947) mit seiner expressiven Figurenmalerei. Altherr lehrte seit 1913 an der Akademie, als Direktor bestimmte er zwischen 1919 und 1921 die Geschicke des Instituts. In seinen monumentalen, von Pathos und Emphase erfüllten Werken steht eine ernsthafte und moralische Auffassung der Spezies Mensch im Mittelpunkt. "Da die Wurzel der Kunst für ihn nicht ästhetisches Gewissen, sondern Weltanschauung ist, hat er das Inhaltlose stets als charakterlos abgelehnt." (23) Seine Auffassung verband Altherr mit der festen Überzeugung, dass der Künstler mit seinen Werken im Sinne des antiken "docere et delectare" (erfreue und belehre) an der sittlichen Erneuerung der Gesellschaft nach dem 1. Weltkrieg mitwirken sollte.

Altherr war die eigentlich zentrale Gestalt im Stuttgarter Kunstleben. Seine Rede anlässlich der Eröffnung der ersten Sezessionsausstellung am 23. September 1923 verdeutlicht, welche ethischen Maßstäbe er an den Berufsstand der Künstler anlegt. (24)

Er fordert darin von den jungen Künstlern "inneren Anstand" und lässt, wie er weiter ausführt, nur einen Maßstab des Qualitätvollen, Guten und Wahren in der Kunst gelten, nämlich den Respekt vor und die Hinwendung zu den Alten Meistern.

Altherrs programmatische Rede enthält einige Positionen, die sich mit Kälberers Einstellung decken, soweit sie sich aus Selbstzeugnissen und aus dessen Werk herauslesen lassen.

Zum Auftakt seiner Rede spricht Altherr über die Heterogenität der Vorkriegskunst, die eine Zerstörung der Fundamente der Kunst nach sich gezogen habe, parallel zu einer zunehmenden Veräußerlichung der Kunst. Quelle dieser unguten Entwicklungen sei die Großstadt: "Die überhitzte Treibhausluft der Großstädte, die zunehmende Richtungs- und Modelauferei überwucherte die großen neu entdeckten Werte der Zukunft, missbrauchte die wertvollsten Entdeckungen über die Wiedergewinnung der bildnerischen Mittel im Sinne der alten Meister - und entwertete die neue Lehre von der Ordnung der Dinge im Raum zu einem neben anderen Richtungen herlaufenden Kubismus!" (25)

Im Gegensatz dazu formuliert Altherr einen moralischen Maßstab, den der Künstler an sich selbst zu stellen habe: Alle Vorrechte der Künstler bedeuten Verpflichtung, in persönlichkeitsbildender Hinsicht wie auch gegenüber dem malerischen Erbe. Deshalb seien künstlerische Entscheidungen immer auch Ringen um eine geistige Idee. Und diese seien nur in einer erstarkten Beziehung zur Natur zu verwirklichen. Altherr sieht positive Zeichen für einen Neuanfang, denn er beobachtet bei der jungen Generation "das heftige Bedürfnis nach innerem Halt, nach Festigkeit, die in aller Natur steckt, ohne dabei mehr an den Zufälligkeiten der Erscheinung hängen zu bleiben!"(26)

Ob Kälberer die Rede Altherrs gehört hat, muss dahin gestellt bleiben. (27) Im Archiv in Glatt hat sich jedoch ein unveröffentlichtes, unvollendetes Manuskript Kälberers erhalten, das interessante Parallelen zu Altherrs Rede aufweist. Das Manuskript erstellte Kälberer ca. 1922 in Vorbreitung auf seine kurze Lehrtätigkeit an einer Schule in Schwenningen. (28)

Auch bei Kälberer spielt die Alte Kunst als unumstößliches Fundament der Kunst eine entscheidende Rolle. Die "Kunst der Alten" - so die Überschrift des entsprechenden Kapitels - bilde gleichsam einen "Stamm", "dem wir selber entwachsen sind, von dem wir Leben und Art empfangen haben." Und er fährt fort: "Sie scheinen uns einen patriarchalischen Bund zu bilden und das Maß in Händen zu halten, mit dem wir selbst einmal gemessen werden sollen." (29)

Das der "Kunst der Alten" vorauf gehende Kapitel ist dem "Verhältnis zur Natur" gewidmet. Kälberer führt darin aus, dass nicht das Abmalen der Natur im Sinne eines objektiven Naturalismus gemeint ist. Vielmehr geht es um die Suche nach der Innen liegenden Form in der Natur, die im Verhältnis von Linie und Umraum abgebildet werden kann. Diese innere Form kann desto besser fixiert werden, je unbedingter die Beziehungen der Teile untereinander auf der Fläche definiert werden. Bevor Kälberer aber auf die Flächen organisierenden Mittel kommt, behandelt er im Abschnitt III "Handwerkliche Mittel" zwei divergierende Grundrichtungen in der klassischen Kunst. Kälberer behandelt zunächst das "byzantinische", oder "klassische Ideal". Es beruht für ihn auf einer Ausgewogenheit der Hälften zueinander und einer Betonung des "edlen Gang(es) der Linie" unter Zurückdrängung einer plastischen Modellierung der ausgegrenzten Flächen. Die Linie wird dabei als dynamisches Element mit eigener Bewegungsenergie, als lebendiges Subjekt aufgefasst, das der Führung durch den Maler oder Zeichner bedarf. Diese, wie Kälberer sagt, "lineare Bewegung" stellt er der so genannten "Massenbewegung" gegenüber, deren Hauptaugenmerk auf mit Farbe hergestellter Plastizität und bewegtem Licht liegt. Beide Richtungen in einem künstlerischen Lebenswerk zu vereinigen, scheint Kälberer umso unmöglicher, als er mit diesen beiden Grundtypen auch psychologische Dispositionen im künstlerischen Wesen verbindet. Kälberer erklärt dies am Beispiel der Impressionisten, deren offene Malweise das Temperament der Schaffenden sichtbar belässt. Im Gegensatz dazu steht die "sorgfältig durchgeführte Arbeit, bei der sozusagen die Spuren der Handarbeit und damit die Spuren der Erregung des Schaffenden beseitigt worden sind, zu größerer Stofflichkeit der dargestellten Dinge vordringt..."

Kälberer entscheidet sich früh und rückhaltlos für das Prinzip der Linearität, da sich für ihn darin sowohl das geistige und rationale Prinzip der Kunst wie des Lebens allgemein verwirklicht.

Die enge Verbindung künstlerischen Schaffens mit einer geistigen Durchdringung des menschlichen Lebens und der Welt, auf die schon Altherr angespielt hat, führt Kälberer im Kapitel V. Betrachtungen - "Betrachten und Erkennen" aus. Künstlerische Arbeit entspricht für ihn einem stufenweisen Erkenntnisprozess, der schlussendlich in ein formal vollendetes Werk einmündet. "Dazu kommt als treibende Kraft die innere, gebändigte Leidenschaft." Die Klarheit in der Formgebung entspricht demnach einem geistigen Klärungsprozeß im Künstler. Kunst ist geistige Arbeit, ist "angewandte Deutung der sinnfälligen Welt, der Versuch einer Neudeutung". Diesen Blick, gleichsam aus der Übersicht, gewinnt nur ein Künstler, der sich geistig und ganz konkret in seiner Lebensweise über die Dinge stellt. Nicht der Wetteifer mit der so genannten Moderne ist für Kälberer Motivation für die eigene Arbeit. Das Werk Kälberers ist vielmehr geprägt von einer Art Gegen-Moderne in der Rückbesinnung auf die Tradition. Und genau darin erfüllt Kälberer den modernen Anspruch seiner eigenen Zeit. Ziel ist die stets erneuerte Harmonie aus der Versöhnung von Tradition und Moderne in jedem bildnerischen Werk.

Das Ideal einer Kongruenz innerer und äußerer Lebensbedingungen, für Kälberer letztlich unabdingbare Voraussetzung seiner linear orientierten, auf Dauer und Zeitlosigkeit angelegten Kunst, verwirklicht der Künstler 1927 mit seinem Umzug nach Glatt, wo er ein Haus erwirbt, das er nach und nach vergrößert. Das Atelier baut er über mehrere Jahre bis zur heutigen Größe aus. Dorthin folgt ihm Gesa, seine Frau. Zusammen ziehen sie in ländlicher Abgeschiedenheit sechs Kinder auf. Zwar nimmt Kälberer durchaus am künstlerischen und gesellschaftlichen Leben in Stuttgart teil, doch ist Glatt seinerzeit weit genug vom Dunstkreis der Großstadt entfernt. Glatt bedeutete ein Leben in Ruhe und Konzentration auf das Werk und damit auf das Wesentliche.

Dass dieser Rückzug auf das Land programmatische Züge trägt, verrät die im Schlüsseljahr 1927 entstandene allegorische Radierung "Fiebertraum" (WVR 10360). (30)

Diese Radierung thematisiert den Konflikt zwischen chaotischer städtischer und gesammelter ländlicher Existenz sowie die überragende Bedeutung der Alten Kunst. Letztere ist Leitfaden und Vorbild für Kälberer, erhebt als Autorität einen Anspruch auf Wahrhaftigkeit, Gültig- und Zeitlosigkeit.

Szenische Versatzstücke sind auf engstem Raum in einen babylonischen Dialog untereinander verwickelt. Palimpsestartig überschreibt der Künstler Szenen über Szenen. Lediglich der im Krankenbett liegende Maler Kälberer in der Blattmitte und die Kopie nach dem Altar Meister Bertrams (um 1379) in der Kunsthalle Hamburg bleiben frei von Überschreibungen. Insgesamt mutet das Blatt wie ein Protokoll von Kälberers damaliger Befindlichkeit an. Zutage tritt der Konflikt zwischen Innen- und Außenwelt - oder, wie Kälberer es selbst kommentierte, von "Innentemperatur und Weltbild" - , der offenbar in den vorausgegangenen Jahren an Schärfe zugenommen hatte und sich erst durch den Rückzug aufs Land entschärfte.

Eine Überfülle hereinbrechender Eindrücke notiert Kälberer auf diesem Blatt. Stellvertretend für die Großstadt stehen skizzierte Architekturen und moderne Verkehrsmittel wie die durch die Blattmitte rauschende Straßenbahn.

Nahezu alle abgebildeten Gebäude sind von Einsturz oder Verfall bedroht. Das rechts erkennbare Kaufhaus Schocken - das zu diesem Zeitpunkt wohl modernste Gebäude Stuttgarts - ohnehin, aber auch der griechische Tempel, Symbol von Zeitlosigkeit und Basis europäischer Kultur. Ein weiteres Gebäude darüber steht in Flammen. Ruhe und Beschaulichkeit findet sich in den die zerberstende Mitte umlagernden Randszenen: Auf dem Berg steht ein von einem Baumhain umgebenes Gebäude, laut Christine Dietz, ein von einer verwandten Familie erworbenes Haus. (31) Es erhebt sich auf einem Felsen weit über das darunter liegende Gewirr. Links davon breiten sich Felder aus, unterhalb dessen entfaltet sich eine paradiesische Szene, an die sich rechts Maria mit dem Kinde anschließt. Sehr bemerkenswert ist ganz links die Szene aus dem Gemälde von Meister Bertram. Liest man das Blatt von links nach rechts erscheinen die beiden Figuren wie Heilsbringer innerhalb eines wuchernden Motivszenarios. Darunter erblickt der Betrachter eine Darstellung von Schloss Glatt, wobei bezeichnenderweise das Gebäude durch einen nach links sich biegenden Weg von dem Szenengewirr in der Mitte getrennt wird.

Kälberer und das Prinzip der Linearität

Aber wie setzt Kälberer das Prinzip der Linearität in seiner Kunst um und welches sind über Rembrandt hinaus die alten Meister und Vorbilder, an denen er sich schult?

Das bereits erwähnte Manuskript enthält zu den formalen Strategien, die Kälberer zukünftig anwenden wird, nur sporadische Aussagen, ist doch das Kapitel "Raumbildende Mittel" unvollendet geblieben. Wenige Stichpunkte, wie z.B. "Überschneidungen" und "Raumschichtungen" unterstreichen, dass Kälberers Denken von Anbeginn auf die Fläche und nicht auf eine illusionistische Erschließung des Raumes, etwa mittels der Luftperspektive, ausgerichtet war. Kälberer sucht nach einer klaren Gesamtordnung auf der Basis einer linearen Ordnung der einzelnen Elemente und einer Ausgewogenheit der "Hälften". Hierzu bedarf es einer planvollen Festlegung von Proportionen und Elementen, die als "Flächenerscheinungen untereinander vergleichbar sein" sollen und in einer Komposition miteinander verzahnt werden, weil mit "jeder eingeschlossenen Form eine ausgeschlossene geschaffen wird".

Wieweit Kälberer selbst zunächst von dieser Idealforderung entfernt ist, zeigt ein Blick auf eine der frühesten Landschaftsradierungen: "Bei Cannstatt", entstanden 1923 (WVR 10120, Abb. 3) besitzt eine noch recht offene Kompositionsweise, bei der die einzelnen Elemente - Garten, Hanglage, Haus- und Stadtsilhouette - ineinander übergehen. Ein sich seitlich ausdehnender Baum legt sich wie eine Folie über das Szenario, am vorderen Bildrand stehen, offenbar zum Schluss eingezeichnet, zwei Spaziergänger am Wegesrand.


Abb. 3 P. Kälberer, Bei Cannstatt


Abb. 4 P. Kälberer, Kleine schwäbische Landschaft

Dem gegenüber offenbart die "Kleine schwäbische Landschaft (bei Schwaigern)", 1924 (WVR 10130, Abb. 4) eine neue kompositionelle Klarheit in der Abgrenzung von Vorder- Mittel- und Hintergrund.

Auf den ersten Blick handelt es sich um ein relativ unspezifisches Landschaftsstück. Die Landschaft wirkt, obgleich kultiviert, in gewisser Weise zeit- und ortlos. Der Künstler wählt die Vogelperspektive für Wiedergabe der Landschaft. Der Blick von oben bedeutet einerseits Distanz zum Gezeigten und andererseits den Versuch, den Ausschnitt als Teil eines Ganzen zu verstehen. Die Vogelperspektive wird fortan zu Kälberers bevorzugtem Anschauungsmodus in den Radierungen, forciert den wiederkehrenden Typus der hochgeklappten Landschaft.

Im vorliegenden Fall der "Kleinen schwäbischen Landschaft" ist die Bildfläche dreigeteilt, die Flächenzuordnungen klar und eindeutig. Vorder- Mittel- und Hintergrund sind dennoch in strenger Tektonik miteinander verklammert. Den Vordergrund bildet ein als Repoussoirmotiv eingesetzter, hoch gewachsener Busch mit rembrandtschen, dichten Laubwerk. Sein oberer Abschluss findet eine Fortsetzung im parallel zum unteren Bildrand verlaufenden Weg. Ein von Wäldern umgebenes Dorf akzentuiert den Mittelgrund, in dem Berge, halb zum Mittel- halb zum Hintergrund gehörend, ein transitorisches Element darstellen. Den Himmel besteht, sozusagen im formalen Umkehrschluss zu den Bergen, aus einer leeren Fläche. Lediglich strichartig angedeutete Wolken und die Sonne geben erzählerische Hinweise auf den gemeinten Ort.

Das Mittelstück, die parzellierte Felderlandschaft, ist durchzogen von einem geschlängelten Weg, der für eine Rhythmisierung der Fläche sorgt. Dieser Weg verbindet die einzelnen Parzellen zu einem homogenen Ganzen. Dieses Motiv einer sich durch die Fläche bewegender Linie, sei es nun in Gestalt eines geschlängelten Weges oder eines Flusses (vgl. WRV 11420, "Südliche Landschaft", 1934, Abb. 5) ist eines der ältesten, klassischen Kompositionsstrategien. Wir begegnen ihr bereits in der altdeutschen Druckgraphik, insbesondere bei Albrecht Altdorfer, dessen Werk für Kälberer wegweisend wurde. (32)


Abb. 5 P. Kälberer, Südliche. Landschaft


Abb. 6 P. Brueghel d.Ä., Solicitudo rustica

Altdorfer gilt als "Entdecker der deutschen Landschaft". Anders als die Generationen vor ihm zeigt Altdorfer topografisch verortbare Landschaften, die aber mit fantasievollen Details durchsetzt sind. So überhöht er Berge, bzw. setzt ihnen zerklüftete Kämme auf und bildet auf diese Weise Schwerpunkte innerhalb einer bewußt angelegten Komposition. (33) Mit Altdorfer erhält die Gattung Landschaftsmalerei Eigenständigkeit, sie ist nicht mehr vorrangig Kulisse für mythologische oder biblische Themen.

Stilprägend wurde Altdorfers Darstellung von Vegetation, die auffällig kompakt und miniaturhaft durchgekräuselt ist. Bei Altdorfer erscheint der einzelne Baum selten als Individuum oder Solitär. Statt dessen rhythmisiert Altdorfer Vegetationsmassen in einer Abfolge von hellen und dunklen Partien, so dass diese als geschlossener, lebendiger Organismus wirken. In diesen sind Mensch und Architektur untrennbar hinein verwoben. Ganz extrem wird dieses Prinzip in Altdorfers Gemälde "Drachenkampf des heiligen Georg" (1510, Alte Pinakothek in München, Abb. 7) wirksam, aber auch die zwanzig Jahre später entstandene "Donaulandschaft mit Schloss Wörth bei Regensburg" (1522 - 1525, A. Pinakothek, München, Abb. 8) hält noch daran fest. (34)


Abb. 7 A. Altdorfer, Drachenkampf des Hl. Georg [Bayerische Staatsgemälde-Sammlungen, Alte Pinakothek München]


Abb. 8 A. Altdorfer, Donaulandschaft mit Schloss Wörth [Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München]

Diese Art und Weise der Naturdarstellung ist das Kennzeichen der so genannten "Donauschule", zu der man Altdorfer landläufig zählt. Unter Donauschule versteht man einen Kreis von Künstlern, die sich im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts in Bayern und im Alpenvorland entlang der Donau aufhielten und dort ihre Motive fanden.

Altdorfers Naturdarstellung entsprach Kälberers Suche nach formaler Zusammenfassung von Details zu einer geschlossenen Form, bei gleichzeitiger Beibehaltung einer lebendigen Binnenform, die das Organisch-Belebte des Gegenstandes wiedergibt. In der Radierung "Romantischen Landschaft", 1928 (WRV 10750, Abb. 9) beispielsweise, sind die Baumwipfel zu einer einheitlichen, gleichwohl in sich belebten Kulisse zusammengewachsen, welche die idyllische Szenerie einer Mutter, die ihr Kind stillt, hinterfängt. Darüber hinaus gingen sicher auch von Altdorfers Zeichenstil - Betonung der Kontur mit wenigen, strukturell bedeutsamen Schraffuren zur Binnenmodulation - entscheidende Impulse aus.


Abb. 9 P. Kälberer, Romantische Landschaft

Auch das Prinzip des erhöhten Betrachterstandpunktes, das sich durch nahezu alle Radierungen Kälberers zieht, ist tief in der altdeutschen Grafik verwurzelt und fast durchgängig bei Altdorfer anzutreffen. Seine Druckgrafik "Landschaft mit großer Doppelfichte"(35) arbeitet mit einem exponierten Standpunkt des Betrachters. Im Vordergrund ist ein Felsvorsprung angesiedelt, auf dem jene Titel gebende Doppelfichte mit ihren charakteristischen, herunterhängenden Zweigen steht. Ein sich windender Weg führt um die Fichte herum bis an den Felsrand, von dem man tief in das Donautal mit Fluß, Burg und Felsen hinunterblickt.


Abb. 10 A. Altdorfer, Landschaft mit großer Doppelfichte

Im Gegensatz zu Altdorfer vermeidet Kälberer in seinen Arbeiten mit erhöhtem Betrachterstandpunkt weitgehend einen derart dramatischen Perspektivwechsel von Nähe und Ferne. Stattdessen betont Kälberer das Gleitende, Harmonische der Übersichtslandschaft. Darin äussert sich das romantische Element in Kälberers Werk, der das Sehnsuchtsvolle und Idyllische der Landschaft unterstreicht. Dies gelingt besonders in den frühen Zuständen, die noch atmosphärischer sind. Ein gutes Beispiel dafür sind die "Zigeuner im Walde", 1929/1945 (WVR 10850, Abb. 11). Der Blick geht in eine talähnliche Ebene. Auf einem aufgelassenen Hügel eines ehemaligen Steinbruchs sitzt ein Zigeuner und blickt auf die ferne Flussschleife. Das Motiv des Sitzens auf einem Hügel und Nachsinnens über die Welt ist bekanntermaßen fester Bestandteil des romantischen Motivrepertoirs seit Caspar David Friedrich. Dieser Druck liegt in mehreren Zuständen vor. Der früheste, sehr atmosphärische Zustand kommt im Gesamteindruck den alten Meistern am nächsten.


Abb. 11 P. Kälberer, Zigeuner im Walde

Gelegentlich verbindet Kälberer, nach dem Vorbild der Alten Meister, die Wahl des erhöhten Betrachterstandpunkts mit interessanten Repoussoirmotiven, wodurch der komponierte Bildcharakter des Ausschnitts als Teil eines vollkommenen Ganzen erhöht wird. Auch dieses kompositorische Mittel ist bei Altdorfer vorgebildet, so z.B. in dessen Radierung "Alpenlandschaft mit Kastell auf halber Höhe". (36) Augenfällig wird dies bei der Radierung "Blick von der Zuflucht (nach Rheintal und Vogesen), 1931 (WVR 11080, Abb. 12). Bäume und Büsche bilden im Vordergrund eine V-Form als kunstvoll angelegter Rahmen, durch den hindurch der Betrachter über die bewaldeten Hügel blickt. In der Ferne verschmelzen die Berge mit dem weiten Himmel zu einem Ganzen. Der Naturausschnitt ist zugleich Bild einer vollkommenen Einheit von Mikro- und Makrokosmos. In seiner klaren Ordnung bildet es die Harmonie und Wohlgestaltetheit des Kosmos, der göttlichen Schöpfung, ab. Der Mensch als Teil des Ganzen ist darin eingebettet, die göttliche Schöpfung erscheint völlig unberührt von menschlichen Eingriffen. Keine Autobahn, keine Industrie, nicht mal ein Dorf stört die Harmonie. Kälberers Radierungen stellen immer auch den Versuch dar, die verlorene Einheit mit der Natur und - betrachtet man die formalen Mittel und deren Herkunft - der (Kunst-)Geschichte im Bilde zu beschwören. Diesen Ansatz unterstreichen die gewählten Titeln; erinnern wir uns an die bereits erwähnte "Romantische Landschaft".


Abb. 12 P. Kälberer, Blick von der Zuflucht

Der "Blick von der Zuflucht" weist interessante formale und inhaltliche Parallelen zu Altdorfers "Donaulandschaft mit Schloss Wörth bei Regensburg" (1520, Alte Pinakothek, München, Abb. 8)) auf. Rahmende Bäume fassen hier einen wohl komponierten Landschaftsausschnitt ein, in dem der Lebensbereicht des Menschen, dargestellt in einer von Menschenhand errichteten Burg, der natürliche und göttliche Bereich, symbolisiert in einem Licht erfüllten Himmel, der fast 2/3 der Fläche einnimmt, zu einer Einheit verschmelzen. Auf kleinster Fläche - das Gemälde misst lediglich 30 x 22 cm - entwirft Altdorfer ein Abbild der empfindsamen Schönheit der allumfassenden göttlichen Schöpfung.

Als Reminiszenz an Altdorfer darf wohl eine der bekanntesten Radierungen Kälberers die "Große Donaulandschaft" (1936/37 und 1945) gelten. (WVR 11560). Sie zeigt eine sanfte, verträumte Uferlandschaft, die beherrscht wird von einer Reihe einzelner Bäume und einem aufragenden, für diese Gegend typischen Kalksteinfelsen. Die landschaftlichen Elemente sind diagonal in einer von rechts nach links abfallenden Linie angeordnet. Der geschlossene Umriss der Baumkronen beugt sich der Strenge der Komposition. Donaulandschaften kennen wir auch von Altdorfer. Sein charakteristischer linearer Zackenstil verleiht ihnen häufig ein Hauch von Exotik. Bei Kälberer hingegen ist es ist eine in sich ruhende idealtypische Welt. Sie sieht aus, als ob ihr die sich verändernden Zeitläufte und eine Zersiedelung der Landschaft nichts anhaben könnten.

Enge Verwandtschaft zu Altdorfer zeigt schließlich Kälberers Radierung "Amazonen im Waldlager überfallen" (1929) (WVR 10900), ein Blatt, dass sowohl stilistisch als auch inhaltlich aus dem Rahmen des Radierwerks fällt. Pate hat offensichtlich die berühmte "Alexanderschlacht" ("Die Schlacht bei Issus", 1529, Alte Pinakothek) Altdorfers gestanden. (37) Wie sein großes Vorbild beschäftigt Kälberer hier das Problem rhythmisierter Massenszenen. Allerdings stutzt er das Geschehen auf ein menschlicheres Maß und übersichtliche Dimensionen zurück.

Kälberer, so zeigt schon die bisherige Untersuchung seines Werkes, war kein Naturalist im eigentlichen Sinne. Den Natureindruck galt es zu klären, formal streng zu organisieren, um ihm einen Aspekt von Dauer zu geben. Bei der Entwicklung geeigneter Kompositionsstrategien ließ sich Kälberer wohl auch von den Werken der niederländischen und flämischen Kunst um 1600 inspirieren. Insbesondere Pieter Brueghel d.Ä. gehört zu den bevorzugten Künstlern dieser Epoche, die Kälberers Aufmerksamkeit erregten. (38)

Eine der schönsten Radierungen Kälberers "Winter auf der Alb", 1932/1973 (WVR 11180, Abb. 13) ist vermutlich von Brueghels berühmter Winterdarstellung aus seinem Jahreszeitenzyklus "Heimkehr der Jäger", 1565, (Abb. 14) Kunsthistorisches Museum im Wien inspiriert. (39) Brueghel verwendet ein tradiertes Kompositionsschema, wie wir es bereits bei Altdorfer kennen gelernt haben: eine diagonale Überschaulandschaft mit so genanntem "Altan-Motiv", d.h. mit einem erhöhtem Vorsprung in der linken Hälfte, von dem der Blick in eine tiefer gelegene Ebene geht. Die Bildfläche ist damit zweigeteilt, der entstehende Sprung zwischen beiden Ebenen signalisiert Nähe bzw. Ferne. Es gibt keinen kontinuierlich sich in die Tiefe entwickelnden Raum, wie er bei Anwendung der Zentralperspektive zustande kommt.


Abb. 13, P. Kälberer, Winter auf der Alb


Abb. 14 P. Brueghel d.Ä., Jäger im Schnee oder Heimkehr der Jäger, Kunsthistorisches Museum Wien

Was Kälberer an Brueghels Bild besonders gereizt haben dürfte, ist die geradezu neusachliche Behandlung der Schneeflächen, die bis auf die menschlichen Spuren als weiße Leerflächen existieren. Kälberer entwickelt seine Winterlandschaft als parallele Flächenkomposition, die sich über die seitliche Bildbegrenzung hinweg fortzusetzen scheint. Vier übereinander geschichtete Ebenen, wenn man die Himmelszone mit hinzu zählt, sind nur leicht miteinander verzahnt, vier hoch aufragende Bäume im Mittelgrund stoßen vor bis in den Himmel. Die Flächenaufteilung gehorcht einem ausgewogenen Verhältnis. Im Mittelgrund ziehen drei Jäger mit Hunden von rechts nach links. Es dominiert das lineare Prinzip. Edle, schön geschwungene Linien bezeichnen die Bergrücken, die Schneeflächen sind kaum moduliert, sondern klar und rein belassen. Die tätige Welt der Menschen ist von der erhabenen Bergwelt durch einen geradezu blickdichten Waldstreifen abgetrennt. Von diesem Blatt geht ein Eindruck von Ruhe und Gelassenheit auf den Betrachter aus. Drei Zustände gibt es von dieser Radierung mit charakteristischen Überarbeitungen in Richtung auf eine stärker erzählerische Detaildichte, welche die sachliche Klarheit des ersten Zustandes auflöst.

Doch nicht nur von den Werken der flämischen Vätergeneration, sondern auch von der zweiten Generation um Jan Brueghel d. Ä. könnte Kälberer Impulse erhalten haben, zumal diese Generation nicht ganz so schroff mit dem Mehr-Gründe-Prinzip umgeht, sondern weichere Übergänge sucht, indem das Motiv teilweise näher an den vorderen Bildrand gerückt und die Aufsicht dadurch etwas gemildert erscheint. (40) Diese Verschiebung des Betrachterstandpunktes macht die Erfindung neuer Kompositionsmotive nötig. Um Tiefenstaffelung zu erreichen, wird die Fläche ähnlich einer Bühne mit verschiedenen voreinander verschobenen Kulissen ausgestattet, der scheinbar undurchdringliche Waldhintergrund durch tunnelartige Öffnungen in den hinteren Bildraum erweitert. In seinem Manuskript von 1922 verweist Kälberer bereits auf das Prinzip der Kulissen-Komposition: "Alle Gegenstände müssen als Flächenerscheinungen untereinander vergleichbar sein, die Raumordnung muss durch kulissenartige Schichtung gewährleistet sein." Auf diese Weise eröffnen sich Raumgassen, die ein typisches Kennzeichen flämischer Landschaftsmalerei sind.


Abb. 15 J. Breughel d.J., Waldstrasse mit Reisenden, Privatbesitz


Abb. 16. P. Kälberer, Landschaft mit Liebespaar

Die flämische Malerei ist überdies bekannt dafür, teilweise Naturdetails ("naer het leven") in die Kompositionen zu integrieren. Jan Brueghel der Jüngere setzt solche Details gerne in dem Typus der Flachlandschaft ein, ordnet diese aber seiner Komposition unter. So beeindruckt das Gemälde "Erzherzog Albrecht und Isabella vor Schloss Mariemont", 1611 (Alte Pinakothek, München, Abb. 17) als teilweise realistische Naturstudie. (41) Der Bildcharakter bleibt dadurch gewahrt, dass das im linken Bildteil liegende Hauptmotiv durch zwei aufragende, schwach belaubte Bäume fensterartig eingerahmt ist. Das gleiche Kompositionsprinzip wendet Kälberer in der Radierung "Horb a.N.", 1944 (WVR 11670) an.


Abb. 17 J. Breughel d.J., Erzherzog Albrecht und Isabella vor Schloss Mariemont [Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München]

Anklänge an das Prinzip der flämischen Raumgassenlandschaft enthält Kälberers Radierung "Landschaft mit Liebespaar", 1933 (WVR 11350, Abb. 16). Ein Paar enteilt in eine von hinten erleuchtete Raumgasse, die sich inmitten eines undurchdringlichen Walddickichts öffnet. In dieser Radierung findet sich ein weiteres Motiv, dessen Genealogie weit in die Kunstgeschichte zurückreicht und sich auch bei den Niederländern und Flamen großer Beliebtheit erfreute: die über einen Fluss gespannte Brücke, mit der spannungsvoll zwei Hälften einer Komposition zusammengebunden werden. (42) Das wohl ausgeprägteste Beispiel für den Einsatz dieses Motivs bildet die "Bachlandschaft", 1931 (WVR 11130, Abb. 18 und vgl.Abb. 19).


Abb. 19 J. Breughel d.J., Dorflandschaft mit Figuren, [Salzburg, Residenzgalerie Salzburg, Foto: Fotostudio Ulrich Ghezzi, Oberalm]


Abb. 18 P. Kälberer, Bachlandschaft

Vordergründig handelt es sich um eine ganz alltägliche Szene. Ein Fuhrwagen fährt über eine Brücke, die über das Flüsschen Glatt gespannt ist, rechts steht ein allein stehendes, eher bescheidenes Haus, vor dem ein Mensch einen mit einem Geländer versehenen Weg hinunter schreit. Die Eindrücklichkeit des Blattes rührt nicht vom Motivischen her, sondern aus der kunstvoll angelegten, chiastischen Komposition: Weg- und Flussverlauf bilden die Schenkel des griechischen Buchstabens Chi = X. Gleichsam am Kreuzungspunkt der Schenkel befindet sich die Brücke mit dem Fuhrwagen. Beide bilden zugleich den Mittelpunkt der Komposition. Dynamik, Bewegung entsteht durch den Verlauf der an diesem Chiasmus beteiligen Elemente, insbesondere durch die sichtbar belassenen Fahrrinnen auf dem unbefestigten Weg. Das eigentlich sich vorwärts bewegende Fuhrwerk wirkt, als sei es an Ort und Stelle montiert, fixiert für alle Ewigkeit als Zeuge einer in sich ruhenden Idylle.

Kälberer und der "Typus der idealen Landschaft"

Einmal auf das Phänomen aufmerksam geworden, wie stark Kälberer in der Tradition der alten Meister verwurzelt ist, ließen sich viele weitere Belege in anderen Blättern aufspüren. Doch wollen wir es dabei belassen und lieber ein paar Überlegungen anstellen, welche Schlussfolgerung aus diesen Beobachtungen abzuleiten ist.

Kälberer versucht das Typische der schwäbischen Landschaft herauszuarbeiten und setzt dafür Kompositionsprinzipien der alten Meister ein, die das Vorgefundene in einer gebündelten Form und Struktur läutern. Nicht die emotionale Einfühlung, die Landschaft als Seelenporträt ist das Thema Kälberers. Die sachliche, von vielen erzählerischen Details entkleidete Bestandsaufnahme mündet in eine zuständliche Form, die das Geistige in sich trägt. Kälberer fordert den Landschaften das Ideale und Zeitüberdauernde ab.

Formal gesehen beschäftigt Kälberer die Frage, wie Raum über die Linie erschlossen und gefestigt werden kann. Er fasst Raum nicht als perspektivisches Kontinuum auf, sondern "übersetzt" ihn entsprechend des flachen Trägermediums mit den Mitteln von Linie und Fläche. Perspektivische Raumerschließung hingegen steht für Illusionismus und letztlich für Augentäuschung. Dieser Aspekt der Kunst interessiert Kälberer weder in seiner Malerei noch in seinen Radierungen.

In Kälberers Bibliothek findet sich die 1923 von Kurt Gerstenberg veröffentlichte Untersuchung "Die ideale Landschaftsmalerei. Ihre Begründung und Vollendung in Rom" (Halle 1923). Zwar gibt es keinen Hinweis auf das Erwerbungsdatum durch Kälberer - etwa in Form eines Exlibris - doch kommt es nicht von ungefähr, dass sich dieses Buch in der Bibliothek findet, enthält die darin geäußerte These doch einen Schlüssel zu Kälberers Radierwerk.

Tafel I bildet Jacopo Bellinis "Der heilige Christophoros in der Landschaft" (um 1440) aus dem Skizzenbuch im Louvre ab. Bellini sei, so Gerstenberg, "mit gewissenhafter Anstrengung und kühl schauender Berechnung dem Raumproblem nachgegangen. Selbst die Ackerfurchen werden in den Dienst der linearperspektivischen Konstruktion genommen." (43) Und er fährt fort: "Ein fast abstraktes Landschaftsbild ist dadurch entstanden, das um des Raumes willen die lebendige Fülle der Natur vernachlässigt." Dominiert wird die Darstellung Bellinis durch einen sich S-förmig durch die Fläche hindurch windenden Flusses. Zeitgleich mit der Erfindung der Landschaftsmalerei als eigener Gattung begegnet uns dieses archetypische Motiv als Kompositionsstrategie. In diese durch die kunstgeschichtliche Literatur beglaubigte Tradition reiht sich Kälberer als Erbe ein.

Gerstenberg definiert weiter das Wesen der idealen oder auch klassischen Landschaft als ein Problem der Eindeutigkeit im Ausdrucksgehalt der Formgebung. Darin äußere sich zugleich die Weltanschauung der Maler, zu der sie hier sich bekennen. Deshalb seien diese Landschaftstypen in gewissem Sinne frei von zeitlicher Bedingtheit. Es ist dieses Ethos, dass die Grafik und Malerei von Kälberer beherrscht. Und sie bestimmt die Wahl der formalen Mittel. Kälberer braucht nicht weit zu gehen, um seine Motive zu finden. Die bodenständige Verwurzelung ist eines der charakteristischen Wesenzüge seiner Kunst, die sachliche, streng formbezogene Flächenklärung seine ureigenste Sprache, die er immer weiter perfektioniert. Dass Kälberer in diesem Streben etwas Unverwechselbares und Eigenes entwickelt hat, dafür stehen die neun Goldmedaillen als öffentliche Anerkennung, die er auf der Pariser Weltausstellung von 1937 für seine reifsten Radierungen erhält. (44) Zu ihnen zählen jene Blätter, auf man sofort stößt, wenn man der Frage nach Kälberers Verbundenheit mit der Kunstgeschichte nachgeht: "Dorfrand am Winterabend", "Winter auf der Alb" und eben die zuletzt besprochene "Bachlandschaft"

Anmerkungen

1) Ausstellungskatalog Stuttgarter Sezession, Ausstellungen 1923-1938/1947, Städtische Galerie Böblingen, Galerie Schlichtenmaier Grafenau, 1987, Bd. 1 + 2 (=AK Stuttgarter Sezession 1987)

2) Paul Kälberer als Grafiker, hrsg. V. Ludwig Dietz, Veröffentlichungen des Kultur- und Museumsvereins Horb a.N. e.V., Folge 6, Frühjahr 1989 (= Paul Kälberer 1989)

3) Ausstellungskatalog Paul Kälberer, Kunst der Neuen Sachlichkeit in Schwaben, Kunstmuseum Hohenkarpfen, Dominikanermuseum Rottweil, 1992, im Auftrag der Kunststiftung Hohenkarpfen und des Landkreises Rottweil, hrsg. V. Bernhard Rüth und Andreas Zoller, Hausen ob Verena, Rottweil, 1992, Bd. 1 + 2 (=AK Paul Kälberer 1992)

4) AK Paul Kälberer 1992, S. 9

5) AK Paul Kälberer 1992 (Bd. 2 mit Beiträgen von M. Machnicki, B. Reinhardt, A. Zoller), S. 38

6) Zur Bedeutung der ersten Italienreise, S. AK Paul Kälberer 1992, Bd. 2, S. 36. Noch nicht vollständig ausgewertet sind die aufschlussreichen Tagebücher Kälberers. Der Künstler gibt darin detailliert Auskunft über die prägenden Eindrücke vor den Originalen italienischer Malerei und Freskenkunst.

7) s. Brief an Gesa vom 4. Dezember 1926 (Archiv Kälberer, Glatt): "Diese Woche habe ich an einer größeren Radierung, einer Landschaft bei Toledo, gearbeitet; sie ist noch nicht fertig. Prof. Eckener hat mir gesagt, dass er seit Jahren jemand suche, das Kupferstechen zu lernen, ob ich wolle und ich habe freudig zugesagt, weil diese heute unter Künstlern fast vergessene Technik einen klaren Aufbau von der Linie aus erlaubt. Heute Nachmittag habe ich in seinem Arbeitsraum die Stichel zu führen geübt. Das ist schwer, aber ich erhoffe viel vom Weiterlernen."

8) Heinz Höfchen, Christian Landenberger (1862 - 1927). Studien zum Werk; Werkverzeichnis der Gemälde und der Druckgrafik, Phil. Diss. Mainz 1983, Kapitel 8, Anm. 7. Inzwischen ist der ursprünglich in Stuttgart bewahrte Nachlass verschollen.

9) Ludwig Dietz, Paul Kälberer und die Vereinigung "Freunde schwäbischer Graphik" (1931 - 1941), in: Schwäbische Heimat, 43, Jg., Heft 2, April - Juni, 1992, S. 164/165

10) Künstlergraphik der letzten 150 Jahre, Galerie und Kunstantiquariat Joseph Fach, Frankfurt, o.J., Katalog 88, Nr. 33 und 34.

11) Louis Godefroy, The Complete Etchings of Adrian von Ostade, Amsterdam 1990, Nr. 39 (85 x 74 mm)

12) Paul Kälberer 1989, S. 35, R 105

13) Hans-Joachim Raupp, Bauernsatiren, Entstehung und Entwicklung des bäuerlichen Genres in der deutschen und niederländischen Kunst, ca. 1470 - 1570, Niederzier, 1986

14) Rembrandt, Sämtliche Radierungen in Originalgröße, hrsg. Von Gary Schwartz, Stuttgart, Zürich, 1984, B 121 (B = Werkverzeichnis Bartsch)

15) ebenda, B 69

16) So findet sich z.B. Rembrandt Handzeichnungen, hrsg. V. Carl Neumann, München 1923, ein Werk, das Kälberer, laut Exlibris 1924, also als relative Neuerscheinung erworben hat. Einer der Höhepunkte während der ersten Italienreise 1924 ist der Besuch der Uffizien im August. Am 4. August begegnet Kälberer dort vier Bildnissen Rembrandts, davon drei Selbstbildnissen. Ergriffen verbreitet er sich über die Ernsthaftigkeit und geistige Tiefe in der Auffassung des menschlichen Antlitzes. (Doc. 60402, Archiv Kälberer, Glatt) Während der zweiten Italienreise, am 21.6.1932 erneuert er die unvergessene Begegnung mit den Bildnissen: "Ist das jugendliche frisch, ein etwas eitler Jüngling, so sind die beiden Alterswerke und das Bildnis eines alten Mannes ungemein einfach und eindringlich in einer Weise, die man sonst nirgends findet" (Doc. 60403, Tagebuch im Archiv Kälberer, Glatt)

17) Rembrandt, Sämtliche Radierungen, B 22: "Selbstbildnis am Fenster zeichnend", 1648

18) ebenda, B 212

19) Als Anschauungsmaterial benutzte er womöglich auch folgendes, von ihm selbst gebundenes Exemplar: Rembrandt, 8 Drucke, L. Koch, Halberstadt. Diese Sammlung von Drucken hat er mit seinem Exlibris versehen. S. ausserdem Ausstellungskatalog Die Arbeitsgruppe für bildende Kunst in Bernstein, Hofgut Bernstein, Sulz-Renfrizhausen, 1995, S. 30

20) Ludwig Meidner, "Anleitung zum Malen von Großstadtbildern", 1914, in: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, hrsg. Von Charles Harrison und Paul Wood, Ostfildern-Ruit, 1998, Bd. I, 1895 - 1941, S. 195 - 198

21) Karin v. Maur, Stuttgarts Beitrag zur Klassischen Moderne, in: Stuttgarter Kunst im 20. Jahrhundert, Malerei, Plastik, Architektur, hrsg. V. Helmut Heißenbüttel, Stuttgart, 1979, S. 15

22) ebenda, S. 42/43

23) AK Stuttgarter Sezession 1987, S. 73.

24) ebenda, S. 31 - 33 (vollständiger Abdruck der Rede)

25) ebenda, S. 32

26) ebenda, S. 33.

27) Paul Kälberer stand mit Altherr bis zu dessen Tod 1947 in Kontakt. Das bezeugt neben einem Porträt, das Kälberer seiner Familie zufolge von Altherr gemalt hat auch eine Rötelzeichnung, die Kälberer von ihm angefertigt hat, vgl. Paul Kälberer 1989, Abb. 14. Kälberers Lehrtätigkeit hörte Mitte September auf. In Anbetracht der Tatsache, dass die erste Sezessions-Ausstellung am 23. September eröffnet wurde und ein besonderes Ereignis war, ist es vorstellbar, dass Kälberer rechtzeitig zur Eröffnung nach Stuttgart zurückkehrte.

28) Der Titel des Manuskriptes lautet: Wege zur Kunst oder Erziehung zur Kunst (Archiv Kälberer, Glatt, Doc. 60302 Kunsterziehung 1922 Schwenningen, ohne Seitenangaben). Laut Einschätzung von Gerhard Kälberer handelt es sich um ein Manuskript für die Unterrichtsgestaltung im Schuljahr 1922/23 der Höheren Fachschule für Feinmechanik, Elektromechanik und Uhrmacherei in Schwenningen. Paul Kälberer unterrichtete in Schwenningen auch am Gymnasium und an der Mittelschule für Mädchen.

29) Wie dauerhaft Kälberer sich den alten Meistern verbunden fühlte und deren Bilderfindungen nicht nur als Quell für eigene Kompositionen nutzte, sondern auch seine Verpflichtung gegenüber der Tradition wiederholt demonstrierte, zeigt die Teilnahme Kälberers mit stolzen 60 Aquarellen und Zeichnungen nach alten Meistern an einer von Gustav Hartlaub 1931 in der Kunsthalle Mannheims veranstalteten Ausstellung mit dem Titel "Wie der Künstler die Kunst sieht", vgl. Christine Dietz, Kälberers Radierung "Fiebertraum". Die Anfänge eines neusachlichen Künstlers in den Jahren 1927 - 1933 und seine Beziehungen zu G.F. Hartlaub, in: Spuren, Festschrift für Th. Schumacher, Stuttgart 1986, zur Ausstellung, siehe S. 429

30) Christine Dietz, ebenda, S. 425 - 433

31) ebenda, S. 426

32) z.B. Albrecht Altdorfer, hrsg. V. E.W. Bredt, München, 1919, (mit Exlibris von Kälberer) S. 14: "St. Georg im Walde"; S. 14 "Landschaft vor den Alpen (= Donaulandschaft mit Schloss Wörth bei Regensburg). S.20 Landschaft mit Fichten am Wasser (= Landschaft mit großer Doppelfichte), Radierung
Von der "Südlichen Landschaft" lassen sich schöne Parallelen zu Pieter Bruegel d.Ä. ziehen, insbesondere zu dessen Radier-Zyklus, der so genannten "Großen Landschaften". Auch hier sind weite, von Flüssen durchzogene Landschaften im hochgeklappten Typus zu sehen, die etwa 2/3 der Bildfläche einnehmen. Bruegel wurde zu diesem Typus der "Weltlandschaft" durch seine Alpenüberquerung im Jahr 1552/53 angeregt, vgl. Ausstellungskatalog Pieter Bruegel the Elder, Drawings and Prints, The Metropolitan Museum of Art, New York, 2001, Kat. 28: "Solicitudo rustica", Radierung (Abb.6)

33) Ausstellungskatalog Albrecht Altdorfer, Zeichnungen, Deckfarbenmalerei, Druckgrafik, hrsg. V. Hans Miehlke, Kupferstichkabinett, Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Museen der Stadt Regensburg 1988, S. 227 (=AK Altdoerfer 1988)

34) Alte Pinakothek München, Erläuterungen zu den ausgestellten Werken, München 1983, S. 36/37: Drachenkampf des heiligen Georg, WAF 29; S. 38/39: Donaulandschaft mit Schloss Wörth bei Regensburg, WAF 30

35) AK Altdorfer 1988, Kat. 119

36) s. Bredt 1919, S. 78 (s. Anm. 32)

37) Alte Pinakothek München, Erläuterungen zu den ausgestellten Werken, München 1983,S. 41/42: Die Schlacht bei Issus, 1529, Inv. 688

38) Schon als junger Künstler zeigt sich Kälberer fasziniert von Pieter Brueghel d.Ä.. Über dessen "Ländlichen Ball" in den Uffizien in Florenz schreibt er am 12. August 1924, dieser sei mit den "herrlichen Eichen und mit weitem Fernblick eine wahre Erquickung" (Doc. 60402, Tagebuch im Archiv Kälberer, Glatt)

39) In der Bibliothek in Glatt findet sich folgende Bücher: Das Bruegel-Buch, mit 39 FT., mit Einleitung von Leo Bruhns, Wien, 1941 (mit Exlibris), darin FT 20: Die Jäger im Schnee. S. auch Gotthard Jedlicka, Pieter Brueghel, Der Maler in seiner Zeit, Zürich und Leipzig, 1938 (das Erwerbungsdatum dieses Buches ist unbekannt). Vgl. auch Anm. 32

40) Ausstellungskatalog Pieter Breughel - Jan Brueghel der Ältere. Flämische Malerei um 1600. Tradition und Fortschritt, Kunststiftung Ruhr, Villa Hügel, Essen; Kunsthistorisches Museum, Wien; Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen, 1997/1998, Kat. 47, "Waldstrasse mit Reisenden, um 1607, Privatsammlung

41) Alte Pinakothek, Erläuterungen zu den ausgestellten Werken, S. 110/111

42) Vgl. AK Brueghel-Breughel (Anm. 40), Kat. 58: Jan Brueghel d.Ä., "Dorflandschaft mit Figuren und Kühen, 1609, Salzburg, Residenz-Galerie.
Das Brückenmotiv verwendet Kälberer auch in den "Zigeuner im Walde". Hier spannt eine Brücke die beiden Hälften der Komposition zusammen. Interessant ist der Vergleich mit der Vorzeichnung im Archiv Glatt. Dort sind Kutsche und Brücke etwas versetzt zueinander angeordnet, die Ruine in der linken Bildhälfte fehlt. In der Radierung ist mit der strengeren Zuordnung von Brücke und Kutsche (und der Ausrichtung des einen Pferdekopfes auf die gedachte Mittellinie) eine geradezu heraldisch strenge Komposition gefunden worden. Die Ruine in der linken Bildhälfte wiederum schafft ein entsprechendes Gegengewicht, so dass die Komposition insgesamt aus drei Teilen besteht, die jeweils durch (von rechts nach links) aus einem Baum, einer Baumgruppe mit Brücke und einem Hügel mit Ruine besteht.

43) Kurt Gerstenberg, "Die ideale Landschaftsmalerei. Ihre Begründung und Vollendung in Rom", Halle, 1923, S. 6

44) Paul Kälberer 1989, S. 20. Die neun Medaillen erhielt er für folgende Radierungen: 10820 Vorfrühling; 10940 Bäume im Winter; 10970 Sintflut; 11120 Am Arno bei Florenz (II); 11130 Bachlandschaft (I); 11180 Winter auf der Alb; 11320 Märzsonne; 11350 Landschaft mit Liebespaar; 11410 Dorfrand am Winterabend