Aufsatz:
"Der Wille des Künstlers und die Problematik der Restaurierung, dargestellt am Beispiel des Gemäldes "Rottweiler Narren" von Paul Kälberer
(WV Nr. 35160)."



Autor: Reinhold Kälberer 2010


Paul Kälberer: Rottweiler Narren

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Abb. 1: Gemälde "Rottweiler Narren" (Zustand 4; nach Restaurierung 2002)


Die "Rottweiler Narren", entstanden 1929/30, gehören zu den großformatigen Hauptwerken des Künstlers (11O cm x 180 cm) mit deren Komposition er sich besonders intensiv auseinander gesetzt hat. Zweifellos ist es darüber hinaus eines der am häufigsten ausgestellten, beachteten, kommentierten und gelobten Bilder, eines von jenen, auf das der junge Künstler seinen Bekanntheitsgrad gründen konnte.

Paul Kälberer: Rottweiler Narren

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Abb. 2: Gemälde "Rottweiler Narren" (Zustand 3 von 1963)


Die spätere Überarbeitung, die auf das Jahr 1963 datiert werden kann, wirft die Frage auf, ob überhaupt oder unter welchen Bedingungen eine Rückführung auf einen früheren Zustand unter Berücksichtigung technischer, ästhetischer, künstlerischer und nicht zuletzt auch ethischer Aspekte, erlaubt oder gar angezeigt sei. Dieser Frage kommt umso mehr Bedeutung zu, als das Schicksal der Übermalungen eine größere Anzahl von Ölgemälden ereilte. Genannt sei in diesem Zusammenhang etwa das Bildnis seines Malerfreundes Jakob Schober. Bereits ein oberflächlicher Vergleich der neubearbeiteten Bilder, darunter viele Portraits, lässt zahlreiche Parallelen erkennen:

  • Übermalt wurde zunächst der Hintergrund, dessen fein nuancierte Farbabstufung aufgehoben wurde zugunsten einer helleren, figürliche, landschaftliche oder gar symbolische Details ausmerzenden, neutralen Tonalität. Breite, sich kreuzende, deutlich sichtbare Pinselstriche beherrschten nun das Feld.
  • Gesicht und Hände so wie die allgemeinen Umrisse der Personendarstellungen blieben erhalten. Auf sie allein konzentriert sich nun der Blick. Jegliche "Ablenkung" durch anderes Beiwerk wurde getilgt.
  • Details der Kleidung wurden ähnlich wie der Hintergrund bearbeitet. Wiederum wurden Einzelheiten zurückgedrängt, mit der Absicht, den Blick auf das dem Künstler Wesentliche zu lenken.
  • Die Komposition wurde, abgesehen von den optischen Verschiebungen, welche die andere Farbigkeit mit sich brachte, beibehalten.

Die spätere Überarbeitung, die auf das Jahr 1963 datiert werden kann, wirft die Frage auf, ob überhaupt oder unter welchen Bedingungen eine Rückführung auf einen früheren Zustand unter Berücksichtigung technischer, ästhetischer, künstlerischer und nicht zuletzt auch ethischer Aspekte, erlaubt oder gar angezeigt sei. Dieser Frage kommt umso mehr Bedeutung zu, als das Schicksal der Übermalungen eine größere Anzahl von Ölgemälden ereilte. Genannt sei in diesem Zusammenhang etwa das Bildnis seines Malerfreundes Jakob Schober. Bereits ein oberflächlicher Vergleich der neubearbeiteten Bilder, darunter viele Portraits, lässt zahlreiche Parallelen erkennen:

Das Ergebnis äußerte sich im Verlust der Tiefenwirkung, in einer geradezu plakativen und sicherlich gewollten Verflachung des Gesamteindrucks. Darüber hinaus traten nun zwei verschiedene sich geradezu befehdende Stile nebeneinander: Die frühere, sanfte Übergänge schaffende, die einzelnen Pinselstriche verwischende, dünn lasierende Malweise, wie sie in Gesicht und Händen weiterlebte, traf nun auf die bereits beschriebene, gewollt vergröbernde Maltechnik des Spätwerks.

Fragt man nach den Gründen für diese Neubearbeitungen, die auch erfolgreiche oft ausgestellte Werke erfasste - auch zahlreiche Radierungen sollten bis kurz vor seinem Tod neu gestaltet werden, wobei allerdings die Auswirkungen weit weniger dramatisch waren, denn die früheren Abzüge blieben ja erhalten - so drängen sich einige Hinweise auf. Diese Übermalungen sind mehr als das, was man in der französischen Malerei einen "repentir" nennt, eine bloße nachträgliche Abänderung, ein "Zeichen der Reue", die man jedem Künstler zugesteht, zumal sie meist kurz nach dem ersten Wurf erfolgt. Sie deuten vielmehr auf eine künstlerische Krise hin. Äußerlich waren die 60-er Jahre sehr arbeitsintensiv. Der Künstler experimentierte, angeregt durch Malkurse in Stuttgart, mit neuen Maltechniken. Die Freundschaft mit Reinhold Nägele führte zur Wiederbeschäftigung mit Radiertechniken. Die Denkmäler der Schwäbischen Alb wurden zeichnerisch erfasst. Innerlich litt der Künstler jedoch noch immer an dem Erfolg der "abstrakten Kunst", deren Vertreter der "gegenständlichen Malerei" kaum noch Raum zur Entfaltung übrig ließen. Es wurde einmal mehr ausjuriert. Diesmal ging es gewiss um grundsätzliche Fragen der Kunst, die Intoleranz der "Abstrakten" wurde als Druck empfunden, den Stil zu ändern und sich anzupassen. Ansätze zur Abstraktion wurden zwar geschaffen, jedoch der Künstler konnte und wollte nicht als Opportunist erscheinen. Er fühlte sich wie viele seiner gleichaltrigen Malerkollegen, die nicht auf der neuen Welle mit zu schwimmen gedachten, missverstanden um nicht zu sagen ausgestoßen.

Zweifellos beflügelte P.K. zu dieser Zeit auch eine unverkennbare Unduldsamkeit gegenüber seinem Frühwerk, getragen von dem Wunsch, auch diesem den Stempel seiner späteren Malweise aufzudrücken und so der Nachwelt zu überlassen. Hinzu trat der feste Glaube an die Vervollkommnung seines Schaffens mit zunehmender Erfahrung und Reife, die Überzeugung, dass sein späteres Wirken notwendigerweise seinem früheren Werk überlegen sein müsse. Schließlich fasste er ein Kunstwerk als ein ständiges, mitunter lebenslanges Streben nach Vollkommenheit auf. Es war klar, dass diese "ideale" Auffassung von Kunst durch die Teilübermalungen zu unüberbrückbaren Stilbrüchen führen musste. Gleichzeitig weisen diese Stilbrüche auch auf hier nicht zu erörternde Widersprüche im "ideologischen Überbau" der Überzeugungen des Künstlers hin. Gewiss, es fanden keine Autodafes mehr statt wie in früheren Jahren, bei denen Gemälde, die der Selbstkritik nicht standhalten konnten, vernichtet wurden. Die Übermalungen der Spätphase entspringen jedoch ähnlichen Motiven und könnten psychologisch in abgemilderter Form als Selbstzerstörung gedeutet werden. Neben der stilistischen Weiterentwicklung, der zunehmenden "Abstrahierung" lässt sich auch eine mit fortschreitendem Alter andere Sehweise, eine sich wandelnde Wahrnehmung der Farbigkeit vermuten.

Was nun das "Narrenbild" anlangt, so kamen noch zwei andere Gründe für die Überarbeitung hinzu. Anlässlich der Löscharbeiten bei einem Brand des Holzschuppens, der dann auf das Atelier übergriff, hatte das Gemälde einen Wasserschaden erlitten, der als äußerer Anlass zur "Renovierung" führte.

Stark wog sicher auch der Umstand, dass der Maler noch immer bedauerte, dass dieses Werk, in das er so viel Zeit investiert hatte, von vielen Leuten in der eigenen Heimat nicht wie intendiert in erster Linie als schöpferisches Kunstwerk, als gewiss freie Bearbeitung eines regionalen Kulturereignisses, für das sich der Künstler schon früh begeisterte, sondern als ein nicht realitätskonformes Dokument gesehen wurde, wo es doch anderwärts so große Anerkennung eingebracht hatte, eben dort, wo die Verwechslung Sujet/ Kunstwerk nicht stattfinden konnte.

Die einzelnen Zustände des Gemäldes lassen sich wie folgt beschreiben:


1. Zustand: fast identisch mit dem jetzigen Zustand 4 (vgl.Abb.l), trotz der Datierung (19)30 mit Sicherheit aus dem Jahre 1929 stammend, wie sich aus der Aufschrift von der Hand des Künstlers auf dem Keilrahmen ergibt ("Rottweiler Narren 1929" nebst Name, Adresse und, wohl erst 1963, in grün eingetragen, die Postleitzahl 7472). Das großformatige Gemälde war also von vornherein für Ausstellungen konzipiert, als Aushängeschild für den aufstrebenden Künstler. Doch dürften nur wenige Betrachter diese Version zu Gesicht bekommen haben, wie die in Ölfarbe hinten vom Maler selbst auf die Leinwand aufgebrachte Beschreibung ("110/180 cm P. Kälberer 1929/30 Rottweiler Narren") nahelegt. Leider konnte bisher kein Foto dieses Zustandes aufgefunden werden.

Paul Kälberer: Rottweiler Narren

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Abb. 3: Gemälde "Rottweiler Narren" (im 2. Zustand (um 1930) auf der Staffelei)



Der 2. Zustand (Abb. 3) muss spätestens im Frühjahr 1930 vollendet worden sein, denn er begegnet uns bereits im Juni 1930 in der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Stuttgart. Ein teilweise abgerissenes und überklebtes Ausstellungsetikett "(Früh)lingsausstellung Schatzkammer des R(eiches?)" lässt den Namenszug des Künstlers erkennen. Dieser Zustand wurde vom Künstler photographisch festgehalten und so z.B. abgebildet in Baum - Fleischhauer - Kobell "Die Schwäbische Kunst im 19. und 20. Jahrhundert" S. 199. Während der erste Zustand bereits eindeutig kompositorisch ausgerichtet ist, die Figuren etwas steif und doch eigenartig bewegt vor einer "verneusachlichten" historischen Stadtkulisse auftreten, so ging der zweite Zustand noch einen Schritt weiter. Der Hintergrund verlor seinen historischen Bezug, die Zentralfigur des "Federhannes" wurde seiner Federn entkleidet, um eine strengere Linienführung zu erreichen. Das "Erzählerische" wurde noch weiter zurückgedrängt, wie ja schon die erste Version die malerischen Türkenmotive der Gewänder auf farbige Punkte und Kreise reduzierte, wie sie eher bei der Oberndorfer Fastnacht Brauch sind. Diese Reduzierung, die sicher als Vermeidung eines Sujets im Sujet erklärt werden kann, war ja dann auch der Hauptgrund für oben dargestelltes Missverständnis.

In diesem Zustand traten nun die "Rottweiler Narren" eine vielbeachtete Reise durch Deutschland an: Stuttgart, Preußische Akademie Berlin 1930/31, Freudenstadt 1931, München und Ulm 1932, Mannheim und Tübingen 1933, Sigmaringen und Hechingen 1935. Hierzu einige Pressestimmen anlässlich der ersten Ausstellung in Stuttgart. So schreibt der "Schwarzwälder Bote" am 6. Juni 1930: "Recht gut ist Paul Kälberer mit seinen Rottweiler Narren vertreten, die zwar noch etwas sachlich beeinflusst und ateliermäßig gestellt sind, aber als Ganzes originell und durch die schönen warmen Töne auch malerisch wirksam sind". Die "Eßlinger & Plochinger Zeitung" spricht von Paul Kälberer als einem "hoffnungsvollen Württemberger" und lobt die "Narren" als "ein Werk von eigener, plastischer Kraft der Gestaltung" (19. Juli). Das "Stuttgarter Tagblatt" vom 26.Juni urteilt: "Von eigenartig starkem Reiz sind die Rottweiler Narren". Der "Staatsanzeiger für Württemberg" (18. Juni) meint: "Die Rottweiler Narrenzunft von P. Kälberer erhebt sich künstlerisch über die kulturgeschichtliche Kuriosität".


3. Zustand (Abb. 2): Die Entstehung dieser Neubearbeitung lässt sich mithilfe mehrerer Tagebucheintragungen auf Anfang März 1963 festlegen. So lautet die Eintragung vom 1.3. etwa "Am alten Bild der 'Rottweiler Narren' gemalt". Es darf mit Sicherheit angenommen werden, dass das Gemälde in seinem damaligen Zustand aufgrund des bereits erwähnten Wasserschadens kaum für eine Ausstellung in Frage kommen konnte. Nun aber hatte P.K. die Möglichkeit bekommen, im Reutlinger Spendhaus zusammen mit seinem Malerkollegen Schaible eine umfangreiche Ausstellung zu gestalten. Mit dem "Narrenbild" als Blickfang versuchte der Künstler nun gewissermaßen ein "Comeback" etwas abseits der regionalen Kritiker.

Bei dieser Neufassung ging der Künstler in der eingangs beschriebenen Weise mit breiten, flächigen Pinselstrichen zu Werke. Die Masken und Umrisse der Gestalten wurden beibehalten. Wiederum wurde das Bild aufgehellt, der Hintergrund löste sich nun ganz von der historischen Stadtkulisse. Zahlreiche Details der Kleidung wurden vergröbert, etwa die Punktierung der Beinkleider. Die im Atelier vorgenommenen Veränderungen folgten, weitgehend losgelöst vom volkskundlichen Bezug, offensichtlich einer rein kompositorischen Konzeption. Wo waren die "plastische Kraft", die "schönen warmen Töne" von einst geblieben? Der "Neuanstrich" zog die Wirkung ins Flache. Die von früher stammenden, fein modellierten Masken wirkten nun wie aufgesetzt auf eine matte, leblose Fläche.

Im Jahre 2002, dem Jahr der Restaurierung, waren sowohl der technische als auch der optische Zustand des Ölgemäldes völlig unbefriedigend. Die Substanz war gefährdet. Die letzte Malschicht, von anderer Konsistenz als der Untergrund, war äußerst dünn und "kreidete". Die in altmeisterlicher Quattrocento-Manier aufgesetzten Farben der früheren Zustände waren in den über 40 Jahren ausgetrocknet, so dass deren natürliches Krakelee durch die neue, kaum deckende Schicht hindurch schien und als Risse wahrgenommen wurden. In dieser Verfassung konnte nur eine Restaurierung Abhilfe schaffen. Dabei erwies sich die letzte, poröse Schicht als eine Erleichterung der Aufgabe. Mehrere kleine "Restaurier-Fenster" gestatteten einen behutsamen, jederzeit reversiblen Einblick in die Vergangenheit des Gemäldes, bevor die großflächige Abtragung der Übermalungen, nach sorgfältiger Erwägung der verschiedenen Aspekte, in Angriff genommen werden konnte.


Der 4. und jetzige Zustand (Abb. 1) ist quasi identisch mit Zustand 1. Bei der Restaurierung wurde jedoch die frühere Signatur von Zustand 1 (links) wieder freigelegt und neben der zweiten (rechts) beibehalten. Es ist bezeichnend, dass die Neubearbeitung von 1963 trotz tiefgreifender Veränderungen nicht eigens signiert wurde. Vielleicht lässt sich dieser Umstand dahingehend interpretieren, dass der Künstler trotz der 33 Jahre, die inzwischen vergangen waren, im Grunde kein neues, in sich geschlossenes, homogenes Werk schaffen wollte.

Im Rahmenfalz bleibt ein schmaler Streifen von Zustand 3 als Dokument erhalten.

Der jetzige Zustand des Bildes entspricht also dem ersten und zweifellos stärksten Wurf. Der "Federhannes" ist wieder der Blickfang, der in die Tiefe führt. Die renaissancehafte Farbigkeit ist wieder hergestellt.

Die Teilübermalung (Zustand 3) war allein schon von der Konzeption so wie vom zeitlichen Abstand her zum Scheitern verurteilt. Zu Recht bedauert etwa Andreas Zoller in "Paul Kälberer, Kunst der Neuen Sachlichkeit in Schwaben I" (S. 40), dass bei dem eingangs erwähnten Porträt "Maler Schober" (WV 30040) "viel Originalsubstanz durch Übermalung in den 60-er Jahren verloren" ging.


Der Umstand, dass P.K. gelegentlich längst verkaufte Bilder zur Überarbeitung in sein Atelier zurückholte, mag Anlass geben, über folgende Anekdote nachzudenken: In einem deutschen Museum wurde einst ein Mann ertappt, der gerade dabei war, ein Gemälde von Oskar Kokoschka zu retuschieren. Wie sich schnell herausstellte, handelte es sich um den Maler selbst, der glaubte, sein Werk verbessern zu müssen - und zu dürfen. Diese Begebenheit könnte auch die Antwort auf die Frage sein, ob es nicht Fälle gibt, in denen das Kunstwerk vor seinem eigenen Urheber geschützt werden muss.